Daten helfen, aber Menschen machen das Urlaubserlebnis

Das Interview mit Michael Domsalla führte Adi Hadzimuratovic (erschienen im destination.report 2018)

Big Data für Destinationen

AH: In den letzten Jahren war vor allem „Big Data“ das Buzzword schlechthin. Ist der Hype vorüber oder was ist heute die größte Herausforderung für Destinationen in Bezug auf strukturierte oder unstrukturierte Daten?

MD: Die Digitalisierung beruht auf Datenverarbeitung und nimmt jetzt richtig Fahrt auf. Das Thema Daten wird sich weiter enorm entwickeln. Digitale Services beruhen auf Daten – und wer diese Dienste anbietet, bekommt Daten. Insofern müssen sich Destinationen über ihre Aufgaben und Ziele bewusst werden, um zu wissen, welche Daten sie brauchen und welche Services nur sie anbieten können. Die klassische Webseite der DMO beruht auf strukturierten Daten zu touristischen Informationen. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal. Die Frage ist, was Destinationen noch anbieten können?


Digitale vs. reale Touchpoints

AH: Nicht alle Customer-Touchpoints sind digitaler Natur, sondern finden beispielsweise zwischenmenschlich in der Tourist-Info statt. Sind grundsätzlich alle Daten von potentiellen Gästen erfass- und messbar oder wird es immer eine Customer-Blackbox geben?

MD: Ein wichtiger Punkt! Wir müssen bei Dateneuphorie vorsichtig sein. Dafür gibt es drei Gründe: 1. Wir werden auch in Zukunft nur einen Bruchteil erfassen können. 2. Die Interpretation der Daten ist immer schwierig. 3. Die wichtigsten Daten können gar nicht erfasst werden. Das meint v.a. die emotionalen Wünsche der Gäste wie „Gastfreundschaft“. Der Tourismus lebt von guten Gefühlen. Falscher Kundenservice aufgrund unvollständiger Daten wirkt sich fatal aus. Mal ein winziges Beispiel: auf vielen Webseiten öffnet sich derzeit eine kleine Chatbox. Die meisten Kunden wollen aber nicht chatten, sondern sich informieren. Sie sind genervt. Davon merkt die Destination aber nichts, weil sie diesen Touchpoint gar nicht sieht. Das wäre in einer TI nicht passiert. Die Customer Blackbox – das ist die Arbeit von Menschen mit Menschen, also der eigentliche Job. Daten können diesen unterstützen, aber nicht ersetzen.

Gästedaten

AH: Welche Art von Gästedaten werden in Zukunft die wichtigste Rolle spielen?

MD: Ich vermute alle Daten, die möglichst nur die Destination erfassen und auswerten kann. Es geht in Richtung Infrastrukturdaten und Services innerhalb der Destination. Also weg vom direkten Kundenkontakt und stärker hin zur Unterstützung der Infrastruktur und der Leistungspartner. Mobilität ist ein wichtiges Thema, zumal dort viele Daten einem strengen Datenschutz unterliegen. Der Bereich ist allerdings sehr dynamisch und schwer zu prognostizieren. Hier muss jede Destination individuell schauen, welche Daten für die eigene Aufgabe essentiell sind.

Datenanalyse

AH: Was für Chancen birgt die Analyse dieser Daten für Destinationen?

1. Wissen. Die richtige Interpretation von Daten generiert Wissen. Das Problem: Man muss es können. Es ist nicht banal aus Daten die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Dafür gibt es Experten für Datenanalyse, die man unbedingt einbeziehen muss. „Viele Daten“ heisst noch nicht „viele Informationen“. Man muss seine Ziele kennen und wo genau Daten das Marketing unterstützen. Dann kann Datenanalyse ein wichtiger Service für z.B. die Leistungspartner sein.

2. Digitale Services. Einzigartige Angebote für den Gast. Dafür ist der Aufwand naturgemäß höher und nur in größeren Destinationen sinnvoll einzusetzen. Das Trendthema Mobilität hat was mit mobil zu tun und dem Smartphone. Da ist noch einiges denkbar.

Maschinenlernen

AH: Dort, wo strukturierte Daten alleine nicht mehr ausreichen, ist häufig von cognitive computing die Rede, also Technologien der Künstlichen Intelligenz, um menschliche Lern- und Denkprozesse zu simulieren und damit in Echtzeit auf das Umfeld reagieren zu können: Wie können Destinationen Cognitive Computing heute schon nutzen?

MD: Destinationen sind keine Techologiekonzerne. Ich denke, man muss zwischen der Vision der Künstlichen Intelligenz und ihrem aktuellen Realisierungsgrad, dem Maschinenlernen, unterscheiden. Experten in dem Bereich weisen darauf hin, dass die Intelligenz von Maschinen heute darin besteht, selber Algorithmen zu erzeugen. Sie weisen auch darauf hin, dass es genau deswegen den Menschen braucht: weil wir nicht mehr wissen was der Algorithmus eigentlich macht und was dabei herauskommt. In der Praxis zeigt sich deren Unkontrollierbarkeit.

Ich finde das ist eine schöne Analogie zum Tourismus: Daten können helfen, aber Menschen machen das Urlaubserlebnis.
Der Vorschlag ist: abwarten, informieren, testen. Ein Hype ist noch kein Geschäftsmodell. Niemand kommt wegen eines Sprachassistenten in eine Region. Erst wenn er kommen will, nutzt er diesen vielleicht. In dieser Reihenfolge sollten die Prioritäten gesetzt werden. Wenn die DMO dann keine Ressourcen für Künstliche Intelligenz mehr hat, tut das meistens nicht weh. Für große Destinationen wäre es wiederum ein schöner Service für die Subregionen und Leistungspartner.

Wer ist der Gast?

AH: Wenn der Gast und seine bisherigen Entscheidungen, Emotionen und Verhaltensmuster immer tiefergehend analysiert werden, wie groß ist dann die Gefahr, dass Individualität, Originalität oder Spontanität verloren gehen?

MD: Das ist der springende Punkt. Der Tourismus glänzt, egal wo auf der Welt, mit Gastfreundschaft. Wie gastfreundlich sind Maschinen? Einer der größten Experten für Algorithmen hat es in 20 Jahren nicht geschafft, mir ein passendes Buch vorzuschlagen. Ich rede von Amazon. Wie gut können Maschinen Emotionen voraussagen? Real, nicht in irgendwelchen Vorträgen? Die meisten Menschen können das Verhaltensmuster ihres Partners nicht vorhersagen. Maschinen sollen das können? Ich bleibe skeptisch. Soziologen und Kulturwissenschaftler untersuchen das Feld seit langem. Sie sind ebenfalls skeptisch.

Wenn die Digitalisierung Individualität, Originalität oder Spontanität nicht verhindert, siehe Chatbot, sind wir schon sehr weit. Das digitale Marketing ist enorm vertriebsorientiert, alles soll ständig verkaufen. Vor dem Verkauf kommt allerdings die Marke und Marken entstehen aus Emotionen. Hier können DMO’s wirklich punkten.

Zum Beispiel mit einem witzigen Sprachassistenten, wenn er denn funktioniert.

Die Rolle des Analogen

AH: Gibt es auch in Zukunft noch eine analoge Komponente, vor allem mit Zunahme älterer Reisender, die wenigstens zum Teil aus der Digitalisierung rausfallen?

MD: Ich würde zunächst den Drang zur „Jugendlichkeit“ hinterfragen. Den schleppen wir noch aus den 90ern mit und verdanken ihn bekanntlich dem TV-Sender RTL und seiner „werberelevanten“ Zielgruppe von 18-39 Jahre. Die älteren schauen ja ARD und ZDF und sind deswegen „nicht werberelevant“. Netter Trick, denn die „älteren Reisenden“ sind natürlich ein attraktiver, weil vermögender Markt. Wir sollten nicht länger auf diese RTL-Verkaufsmasche reinfallen.

Die spannendste „analoge Komponente“ ist in Zeiten von Virtual Reality meines Erachtens der Urlaub selbst. Solange der reale Aufenthalt attraktiver ist, als eine VR-Bespielung, ist alles gut. Das gilt dann, sagen wir in 10-20 Jahren, für jung und alt gleichermaßen. Ich wäre dann 60 oder 70 und durchaus für eine gute VR (Virtuelle Reise) z.B. auf den Mars zu haben. Ich bin mir aber sicher, dass der Urlaub davon überdurchschnittlich profitiert, während TV, Kino, YouTube etc. verlieren werden.

Leben ist mehr als Sehen und Hören. Leben ist Erleben. Das wird sich nie ändern.

Michael Domsalla

ist Gründer der Markenmanufaktur KMTO, Strategieberater & Coach für Marke, Kommunikation und Internet. Seine aktuellen Schwerpunkte sind Marken als soziale Identitäten, Community- und Customer Journey Marketing. Sein Motto ist „Leidenschaft & Perfektion“.

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