Daten. Inhalte.

Wer als Produzent von Content diesen regelmäßig auf seinen Erfolg überprüft, wird um Veränderungen nicht herumkommen. Gleiches gilt für Destinationen, die über Daten heute immer mehr über ihre Gäste erfahren. Doch wohin führt das eigentlich?

Wissen Sie, was der Niedergang der alten Medienwelt mit der Digitalisierung zu tun hat? Nichts. Vielmehr sind die immensen Auflagenverluste der vergangenen gut zehn Jahre und die sich daran anschließende Unfähigkeit, die „verloren gegangenen Leser“ in den Digitalangeboten wieder für sich zu gewinnen, die Geschichte einer Entfremdung. Einer Entfremdung zwischen jenen, die Inhalte produzieren und jenen, die sie lesen (sollen).

Ich durfte das als Redaktionsleiter Reise bei der Funke Mediengruppe zwischen 2009 und 2016 in NRW hautnah miterleben. Wenn wir aus dem Reisebereich bei den Kollegen anderer Redaktionen anklopften, ob man dort für uns mal eine Leserreise begleiten könnte, um darüber zu schreiben, kam die Absage stets prompt. Einen oder gar mehrere Tage mit den eigenen Lesern zu verbringen – für die allermeisten Redakteure ein Alptraum! Und so kommt es, dass Edelfedern über Theaterpremieren schreiben, die zwar bei den Kollegen in der eigenen Redaktion Begeisterungsstürme auslösen, die Leserschaft aber nicht interessieren. Deswegen entstehen Gastrokritiken von Lokalen, in die sich der Großteil der eigenen Abonnenten nie verirrt. Deswegen setzen Blattmacher bis heute viele Themen, die an den Interessen der eigenen Leserschaft komplett vorbeigehen.

Die Digitalisierung ist nicht schuld daran, dass viele klassische Medien so massiv an Bedeutung verlieren.

Und dass sich immer mehr Menschen heute online an ihren tatsächlichen Bedürfnissen orientiert informieren können, ist nur einseitig betrachtet das Surfen in der „Meinungsblase“, sondern zunächst der größte mediale Fortschritt der vergangenen Jahrzehnte. Arbeitet die Touristik nicht gerade selbst mit Hochdruck im Zuge der Open Data-Thematik daran, potenziellen Gästen nur noch genau die zu deren Interessen passenden Angebote auszuspielen?

Reportingtools verraten uns heute schon mehr über unsere Kunden bzw. Leser, als es braucht, um die eigene Strategie regelmäßig zu überprüfen. Wer als Entscheider bereit ist, immer mal wieder über seinen eigenen Schatten zu springen, für den ist die Digitalisierung deshalb ein Segen. Eine Destination, die getrieben vom eigenen Selbstbild eine Kultur- und Genussregion sein möchte, obwohl die vorhandenen Daten zeigen, dass dem nicht so ist, wird scheitern. Wer sich aber als Dienstleister in seinem Segment versteht, wird erfolgreich sein.

Zugegeben: Auch mir fällt es manchmal schwer, Dienstleister für meine Leserinnen und Leser zu sein.

Wenn die am besten geklickten Artikel über Monate hinweg immer nur Berichte zu Influencer- und Bloggerthemen sind, kann ich diesem Interesse nicht mehr mit Begeisterung folgen. Anderseits trifft es mich, wenn in meinen Augen wichtige Studien zu Nachhaltigkeitsthemen in der Gunst der Abonnenten oft ziemlich durchfallen.

Machen wir es also konkret: Was interessiert die Menschen, die in der heimischen Tourismusbranche ihr Geld verdienen? TN-Deutschland wertet in regelmäßigen Abständen alle weiterführenden Links aus dem Newsletter und alle selbst verfassten Artikel auf der Website aus, ordnet die Artikel Themenkomplexen zu und ermittelt so, was die Zielgruppen wirklich interessiert.

2019 überragten beim Leserinteresse der Deutschlandtouristiker drei Themenkomplexe: Open Data, Influencer-Marketing und Veranstalter. Das Thema Open Data wirkte dabei wie ein Türöffner auch für andere Technologiethemen, wie beispielsweise Onlinevertrieb und Website, Mobile Payment oder digitale Services wie eLearning oder Progressive Web App (PWA). Das Thema Influencer wurde interessanterweise immer dann am besten geklickt, wenn der Tenor des Teasers auf das baldige Ende des Hypes hindeutete. Dass das Veranstalterthema 2019 so gut lief, „verdanken“ wohl alle Travel-Fachmedien der Thomas-Cook-Insolvenz. Der Newsletter mit dem Titel „Thomas Cook ist pleite“ katapultierte unsere Öffnungsquote jedenfalls in neue Sphären.

Die zehn meist gelesenen Themenkomplexe auf einen Blick:
  1. Open Data & Travel-Technologie
  2. Influencer-Marketing
  3. Veranstalter & Reisevertrieb
  4. Onlinemarketing (SEO, Facebook, Website etc.)
  5. Rechtsthemen (Urteile)
  6. Downloadlinks zu LMO-Praxisleitfäden
  7. Skandalöses (Bad Harzburg erntet herbe Kritik für Werbeaktion mit Busen etc.)
  8. Experten-Interviews
  9. Downloads zu Mafo-Studien
  10. Förderprogramme
Die zehn am schlechtesten gelesenen Themenkomplexe auf einen Blick:
  1. Hotelthemen
  2. Tourismuspolitik
  3. Monats- und Quartalsbilanzen (Übernachtungszahlen aus den Regionen)
  4. Ausführungen zu Tourismuskonzepten
  5. Kulturthemen (Lutherjahr, Bauhaus etc.)
  6. Nachhaltigkeit
  7. Personalwechsel (Neue Geschäftsführung etc.)
  8. Incoming (weil weiterführende Links oft auf Englisch)
  9. Barrierefreiheit
  10. Zertifizierungen

Was jetzt aber tun mit diesem Wissen? Nur noch Themen aufbereiten, die gut ziehen? Alles, was weniger gut geklickt wird, aussortieren?

Ich denke das wäre falsch. Genau wie es für eine Destination falsch wäre, außerhalb der Ferienzeiten nur noch Angebote und Themen für Senioren zu kommunizieren, weil die Mehrheit der Gäste dann vielerorts 60+ ist. Der Wunsch nach zielgruppenspezifischer Kommunikation und Spezialisierung darf nicht in die Eintönigkeit führen. Spezialisierung darf nie so stark beschneiden, dass auf neue Entwicklungen nur noch in einer Art und Weise reagiert werden kann, die von außen betrachtet künstlich und konstruiert wirkt.

Besser sollte man mit dem Wissen über seine Gäste bzw. Leser sein Handeln regelmäßig reflektieren und sein Produkt mit Fingerspitzengefühl anpassen. Schrittweise. So, dass Weiterentwicklung nach außen und innen erkennbar wird – aber möglichst wenige vom Wandel verschreckt werden. Die im Zuge der Digitalisierung vielfach geforderte Radikalität und Umbaugeschwindigkeit von Firmen und Organisationen kann hier zur Falle werden. Die immer wieder geforderte Kundenzentriertheit stößt nämlich dann an ihre Grenze, wenn man als Macher, Leistungsträger, Inhaber oder Geschäftsführer einer Tourismusorganisation die datengestützten Ergebnisse nicht mehr mit den eigenen Vorstellungen in Einklang bekommt.

Dann lohnt auch mal der Blick zurück. Denn Daten sind zwar heute für den Erfolg unverzichtbar – aber kein Allheilmittel. Erfolg kommt nicht nur zustande, wenn man immer nur das anbietet, von dem man meint, dass es erwartet wird. Sondern besonders auch dann, wenn man überraschen kann, sich traut, Dinge selbst zu gestalten. Schon ein mutiger Hotelier kann das Gesicht eines Ortes und dessen Gästestruktur sehr schnell komplett verändern. Dann müssen neue Daten her. Es ist der neue ewige Kreislauf.