Vorstellung mit drei Akten – wie sich Destinationen die Macht der Gedanken zunutze machen können

Kennen Sie das? Sie sitzen am Schreib- oder Küchentisch, schauen aus dem Fenster und träumen sich in die Ferne – in vergangene, zukünftige oder noch nie da gewesene Tage.

Trotz oder gerade wegen der zunehmenden Isolation, die die Pandemie verursacht und notwendig macht, entsteht der Eindruck, unsere Gedanken bedürfen noch stärker eines Alltagsausbruchs und einer Fantasiereise. Dabei ist ein Abschweifen unserer Gedanken zunächst darauf zurück zu führen, dass vom entweder überforderten oder in manchen Fällen auch unterforderten Gehirn eine regelrechte Pause verlangt wird. Die Gedanken, deren Fokus vorher noch im Alltag lag, schweifen nun ab, und das Kino im Kopf beginnt. Auf einmal können wir am Strand die Sonne auf unserem Gesicht fühlen und das salzige Meerwasser riechen, können das Gesicht verziehen, wenn wir gedanklich in eine saure Zitrone beißen. Aber was hat es mit dieser in uns verankerten Vorstellungskraft auf sich und wie können sich Destinationen genau diesen Effekt gerade jetzt zunutze machen?

Fragen wir zunächst das Wesentliche: Was ist eigentlich Vorstellungskraft?

Laut Wikipedia ist die Vorstellungskraft – auch Phantasie oder Imagination genannt –  „vor allem die Fähigkeit, innere Bilder und damit eine ,Innenwelt‘ zu erzeugen“. Der deutsche Psychologe Wilhelm Wundt bezeichnete die Fantasie als ein „Denken in sinnlichen Einzelvorstellungen“, ein „Denken in Bildern“. Und die gute Nachricht für unseren Zusammenhang: Jeder besitzt sie, auch wenn wir von ihr im Laufe unseres Lebens seit der Kindheit immer weniger Gebrauch machen.

Die Macht der Vorstellungskraft

Denken Sie doch einmal an die großen Errungenschaften der Menschheit. Was wäre passiert, wenn Menschen beim Anblick von durch die Lüfte gleitenden Vögeln nicht ins Träumen geraten wären, sich nicht das damals utopische und unrealistische Ziel gesetzt hätten, ihrer Vorstellungskraft vom menschlichen Fliegen nachzugehen? Der Traum vom Fliegen hatte seine Wurzeln im frühen Mittelalter, wurde von Leonardo da Vinci in seinen weltbekannten Skizzen mit Federkiel zu Pergament gebracht und mit Otto Lilienthal als „ersten Flieger der Menschheit“ in die Tat umgesetzt. Und heute ist ein Leben ohne Fliegen unvorstellbar. Vor allem, wenn es um unseren Urlaub geht. Unsere Vorstellungskraft kann sich also in eine Zielsetzung wandeln und somit einer echten Umsetzung in die Realität näher kommen.

Was hat das mit einer digitalen Destination zu tun?

Obwohl nicht jede Vorstellungskraft auf ingenieurstechnischem Niveau wie die eines da Vinci ist, so ist sie doch auch Ihren Gästen mit in die Wiege gelegt worden, die wie alle Menschen regelmäßig zu Tagträumern werden und im wahrsten Sinne des Wortes auf andere Gedanken kommen. Wenn Ihre Zielgruppe sich also sowieso mit ihren Gedanken in den ersehnten Urlaub träumt, sollte es sich dann nicht im Idealfall auch um Ihre Destination als mentalen Drehort handeln? Als Praxistipp bedeutet dies:

Unterbreiten Sie Ihren digitalen Gästen Content, der zum Träumen einlädt.

Hierbei reicht die Bandbreite von stark deskriptiven, die Sinne ansprechenden Reiseberichten über einen Newsletter mit der täglichen Dosis Tagtraum bis hin zu Audiodateien auf Spotify, die Ihre Destination erhörbar und damit erlebbar machen. Gibt es vielleicht einen virtuellen Raum, in dem sich potentielle Gäste jedem Morgen live zum Start in den Tag eine Prise Meeres- oder Talblick abholen können und Ihre Destination damit sogar in die Alltagsroutine ihrer Gäste integriert wird? Das wäre tatsächlich die Königsdisziplin und der perfekte Ausgangspunkt dafür, dass solch ein loyaler Gast seine tägliche Gedankenreise zu einem späteren Zeitpunkt in die Realität umsetzt.

Aber warum sollte sich eine Destination über nicht wirklich stattfindende Kopfreisen Gedanken machen?

Der erste Grund liegt auf der Hand: Sie bleiben buchstäblich im Kopf der potentiellen Gäste. Bereits vor der Pandemie gehörte Gästebindung zum Grundarsenal einer Destinationsvermarktung. Und so ist sie in einer Zeit, in der physischer Urlaub nicht stattfinden kann, nicht nur essentiell, sondern überlebenswichtig.

Unser Gehirn kennt keinen Unterschied zwischen Vorstellung und Realität

Der zweite Vorteil von gutem, zum Tagträumen einladendem Content ist die Tatsache, dass beim Erlebnis einer positiven Gedankenreise in unserem Gehirn die gleichen biochemischen Prozesse ablaufen, als wenn ich mich an eine echte Reise erinnere oder sogar live erlebe. Unser Gehirn kennt keinen Unterschied zwischen positiver Vorstellung und positiver Wirklichkeit und schüttet in beiden Fällen Glückshormone aus. Was gibt es also besseres, als Ihren Gast bereits zu Hause mit Gedankenurlaub in Ihrer Destination glücklich zu machen? Zugegeben: das Glück ist zwar von begrenzter Dauer, sobald die Gedanken des Gastes sich wieder im echten Alltag einfinden. Und doch geschieht etwas Erstaunliches: das Gehirn speichert diese Gedankenreise als etwas Geschehenes ab. Sie haben sich als Destination quasi einen kleinen Anker im Kopf Ihres Gastes gesichert.

Noch ein Tipp an dieser Stelle:

Geben Sie genau solchen Gästen ein weiteres Werkzeug an die Hand, um über ihre persönliche Gedankenreise zu sprechen. Dies kann zum einen über das einfache Teilen in den sozialen Medien bis hin zu einer größeren Hashtagkampagne funktionieren. Ein Paradebeispiel ist die Social-Media-Serie der Tourismusbehörde von St. Lucia (SLTA), in der die potentiellen Gäste aufgefordert werden, 7 Minuten lang gedanklich nach St. Lucia zu reisen. Zweimal pro Woche auf Instagram ausgestrahlt werden zukünftige Reisende mit einem virtuellen Einblick in das Leben und die Kultur der Insel inspiriert. Zu den Themen gehören Yoga und Meditationssitzungen, Cocktailkurse mit lokal produziertem Rum oder authentische Kochkurse mit Chef Shorne Benjamin.

Der Tourismusminister Dominic Fedee bringt es in seiner Pressemitteilung auf den Punkt:

„Mit der Erstellung der Social-Media-Reihe ,7 Minuten in St. Lucia’ möchten wir die Kultur und die natürliche Schönheit von St. Lucia auf authentische Weise virtuell teilen, während die Menschen zu Hause sicher sind, um mit zukünftigen Besuchern und unseren geschätzten Reisebüros in Kontakt zu bleiben – hoffentlich ein Lichtblick in ihren Tagen“.

Und mit dem Stichwort „zukünftig“ wären wir beim dritten, großen Vorteil einer stetigen gedanklichen Verweildauer Ihrer Gäste in Ihrer Destination angelangt. Während sich die Welt zwar immer noch inmitten der COVID-19-Pandemie befindet und Ihre Gäste sich an den Quarantäne-Alltag gewöhnen, wird es wieder Zeiten des echten Reisens geben. Sollte der Gast dann eine Reise planen, haben Sie anderen, marketingtechnisch schweigsamen Destinationen eins voraus:

Ihre Destination hat sich bereits im Kopf verankert und als potentielles Reiseziel ins Spiel gebracht.