Smart Destinations – Kreuzfahrtschiffe im Fokus

Smart Destinations, was ist das überhaupt?

Smart Destination ist ein Schlagwort, mit dem die Digitalisierung von touristischen Reisezielen umschrieben wird. Konkret geht es um die Verbindung von digitalen und realen Erlebniswelten und Infrastrukturelementen.

Wir (Eric Horster und Constantin Foltin) haben uns – unter anderem im Rahmen von Constantins Masterarbeit – näher mit dem Begriff beschäftigt und uns angeschaut, wo solche „smarten“ Destinationen schon heute zu finden sind. Diese werden wir im Rahmen einer mehrteiligen Serie hier vorstellen.

Bei unserer Recherche sind wir insbesondere auf eher geschlossene touristische Räume wie Festivals, Freizeitparks, Skigebiete oder Kreuzfahrtschiffe gestoßen. Der Vorteil, den diese Räume haben ist, dass sie meist zentral von einem Betreiber gesteuert werden, der die digitalen Services koordinieren kann. Wir wollen in dieser Reihe Beispiele dieser Räume vorstellen und anhand von konkreten Anwendungen zeigen, wie sich die Freizeitgestaltung von Reisenden verändert.

In einem Video hat Eric dazu einmal erläutert, worum es grundsätzlich geht:
In diesem Beitrag liegt der Fokus auf dem Kreuzfahrtmarkt, der trotz aller Kritik stetig wächst und im Jahr 2018 einen Wert von zwei Prozent der gesamten Reisebranche inne hatte. Reedereien reagieren auf diesen positiven Trend mit zahlreichen Schiffsneubauten. So sind reedereiübergreifend in den Jahren von 2019 bis 2027 mehr als 100 neue Schiffe geplant.
Smart Ships

Ohne hier auf die grundsätzliche Umweltproblematik einzugehen (der Fokus dieses Beitrags ist ein anderer), führen diese Neubauten in der Konsequenz zum einen dazu, dass Schiffe mit neuer digitaler Infrastruktur ausgestattet werden können.  Zum anderen ist diese Entwicklung gleichbedeutend mit einer steigenden Konkurrenzsituation, auf die Kreuzfahrtanbieter oftmals mit neuartigen Angeboten reagieren, die das informations- und beratungsintensive Reiseprodukt „Kreuzfahrt“ optimieren sollen. Exemplarisch werden hier nun unterschiedliche Konzepte digitaler Anwendungen vorgestellt, wodurch das Spektrum von Smart Ships deutlich wird. Eine beispielhafte Erklärung, was unter einem Smart Ship überhaupt zu verstehen ist, lässt sich hier finden:

Im Video wird ersichtlich, dass ein grundlegender Aspekt bei Smart Ships die digitale Infrastruktur in Form eines konstanten WLANs auf See ist. Das System VOOM der Reederei Royal Caribbean International (RCL) beispielsweise ist nach Angaben des Unternehmens das schnellste WLAN auf See.

Apps zur Individualisierung der Reise

Anbieterübergreifend lassen sich komplementär zum WLAN die beiden Komponenten: mobile App (teilweise mit Online-Plattform) und Wearable in unterschiedlichen Ausprägungsformen wiederfinden. Mithilfe von Online-Plattformen wie Cruise Planner oder Cruise Personalizer lassen sich vor Beginn einer Kreuzfahrtreise bereits diverse Zusatzleistungen (Wellness, Shows, Landausflüge) buchen. Darüber hinaus wird die Möglichkeit geboten, notwendige Administrationsprozesse, wie den obligatorischen Check-In vor Reisebeginn digital durchzuführen. Denn jeder Gast muss vor Abreise Angaben, wie Notfallkontakt, Passdaten, An- und Abreise-Informationen oder Abrechnungsart des Bordkontos (Kreditkarte) an die Reederei übermitteln. Ein vom Gast hochgeladenes Foto dient zur Sicht-Identifikation während des Einlesens der Bordkarte beim Betreten und Verlassen des Schiffes, sodass die Kontrollzeit verringert werden kann. Wie die Administrationsprozesse bereits vor Reisebeginn digital durchgeführt werden können, zeigt die folgende Video-Anleitung von der Reederei Princess Cruises:

In einigen Schiffen von Royal Carribean wurde auch die Funktion eines Luggage-Trackings eingeführt, bei welcher der Gast seine Koffer in Echtzeit mithilfe seines Smartphones sowie eines RFID-Tags am Gepäck in einer App verfolgen kann. Es wird dann angezeigt, wo sich die Koffer gerade befinden bzw. ob diese bereits in der Kabine eingetroffen sind.

Besonders hervorzuheben ist das Angebot der italienischen Reederei MSC Cruises. Denn hier lässt sich ein und dieselbe App (MSC for me) vor und auch während der Reise nutzen. Bei Einwahl in das Schiffsnetzwerk aktualisiert sie sich und es wird ein neuer Funktionsumfang freigegeben, wodurch der Übergang fließend und für den Gast unmerklich (seamless) erfolgt.

Ziel dieser Maßnahmen sind ein individualisiertes Reiseerlebnis, die vereinfachte Informationsabfrage sowie der Abbau von Barrieren hinsichtlich Zugängen, Bezahlung und weiteren normalerweise zeitaufwendigen Administrationsprozessen zu Beginn der Reise.

Funktionen an Bord von Smart Ships umfassen neben der kurzfristigen Abfrage sämtlicher Schiffs- und Reiseprogramminformationen unter anderem eine interaktive Karte zur Navigation, diverse Interaktionsmöglichkeiten mit dem Personal oder auch die Möglichkeit, weitere Zusatzleistungen zu buchen.

Wearables als Unterstützung an Bord

Ergänzend zu den genannten technologischen Komponenten können Passagiere an Bord der jeweiligen Schiffe unterschiedliche Wearables erwerben. So gibt es bei Royal Caribbean beispielsweise ein sogenanntes WOW-Band, welches mit RFID-Technologie ausgestattet ist. Bei den Reedereien wiederkehrende Funktionen, die mithilfe der Armbänder realisiert werden können, sind die Bestellung von Getränken (digitales Bezahlsystem), die Registrierung bei Aktivitäten an Bord sowie der Zugang zur Kabine (Access Control). Diese Systeme ersetzen somit „klassische“ Bordkarten. Wearables sind dabei nicht immer in Form eines Armbands vorhanden: Bei der US-amerikanischen Reederei Princess Cruises erhalten Gäste bspw. ein sogenanntes „Ocean Medaillon“. Dies ist ein NFC-Chip in Form eines Medaillons, in dem der Name des Gastes per Lasergravur verewigt und bereits mit den Reiseunterlagen zugestellt wird. Gäste müssen ein persönliches Profil in der komplementären App hinterlegen. Der Chip ist dann an das Profil gekoppelt und kann während der Reise als digitale Identifikation (im weiteren Sinne ein Digital Twin) eingesetzt werden.

“Technology isn’t easy; it’s hard to get it right, and the pace of change just keeps increasing.” Richard Fain, chairman und CEO von Royal Caribbean Cruises

Über das Medaillon ist sogar eine Ortung der eigenen Position, aber auch der von Mitreisenden auf dem Schiff möglich. MSC bietet mit der Echtzeit-Lokalisation von Kindern ebenfalls einen erweiterten Funktionsumfang seines interaktiven Armbandes. Das System wird außerdem dafür eingesetzt, um die Zimmerreinigung so abzustimmen, dass Gäste auf ihren Kabinen nicht unnötig gestört werden. Zusätzliche Services, die auf der Geolokalisierung beruhen sind bspw. das Bestellen und Liefern von Getränken an den jeweiligen Aufenthaltsort oder Kauf und Lieferung von Artikeln des Bordshops.

Gästelenkung durch Auswertung der Nutzerprofile

Anbieterseitig können übergeordnet durch die digitalen Anwendungen auch Kundendaten erhoben und zur Individualisierung sowie zur Gästelenkung eingesetzt werden. Präferenzen von Gästen können passiv gesammelt werden, da der „digitale Schatten“ automatisch gespeichert wird und somit keine aktive Übermittlung der Daten durch die Gäste erforderlich ist. So werden die Essenszeiten, Auswahl der Speisen und Getränke sowie der Besuch unterschiedlicher Aktivitäten gesichert und zu einem Gästeprofil zusammengeführt.

Es wird deutlich, dass die meisten Services nur mithilfe eines umfangreichen Trackings möglich sind. Datenschutzbezogenen Bedenken von Gästen wird daher mit einer Einstellung namens „Safety Only“ begegnet. Sofern diese aktiviert ist, werden keine Daten gesammelt, sodass die Gäste mittels Bordkarte und ausgedrucktem Tagesprogramm bei Princess Cruises auch eine klassische Kreuzfahrt durchführen können.

Resümee und Ausblick

Die digitale und analoge Vernetzung bei Kreuzfahrtreisen schreitet zügig voran, wie das nächste Projekt von MSC Cruises mit der Weiterentwicklung des Systems „MSC for me“ in Verbindung mit Sprachassistenten und künstlicher Intelligenz zeigt. Seit März 2019 steht Kreuzfahrtgästen die Sprachassistentin „Zoe“ Rede und Antwort. Royal Caribbean wird in Zukunft 900 Millionen US$ in die technologische Weiterentwicklung im Rahmen des Projektes Royal Amplified investieren. Im Fokus stehen dort Maßnahmen, die innovative Funktionen, wie Skypad mittels VR ermöglichen, wodurch Gäste in neue virtuelle Erlebniswelten eintauchen können.

Durch diese technologischen Innovationen kann der reale Service individualisiert und auf den Kunden zugeschnitten erfolgen – mit der Kehrseite, dass Gäste durch das Auslesen ihrer Daten womöglich komplett gläsern werden. Die Möglichkeit der Durchführung einer klassischen Kreuzfahrtreise ohne digitale Komponenten ist derzeit in den meisten Fällen noch möglich. Es ist aber abzusehen, dass sich derartige Dienste eher ausweiten und verbessern werden, sodass es zunehmend schwieriger werden wird, auf digitale Angebote komplett zu verzichten. Dies erhöht das Risiko eines „Digital Divide“ bei den Menschen, die sich der Technologie (aus welchen Gründen auch immer) verschließen und dadurch von bestimmten Angeboten ausgeschlossen werden.