Digitale Ethik

Fragen zur Verantwortung im Kontext der Besucherlenkung
Welche Verantwortung tragen Tourismusmanager?

Im Tourismus ist es aufgrund der komplexen technischen Lösungen kaum noch möglich, eigene Apps zur Besucherlenkung zu entwickeln, ohne dabei auf Fremdanbieter zurückzugreifen. Bei dem Weg, den die Daten zurücklegen, sind viele Akteure involviert. Zur Erfassung werden Wifi-Zählgeräte, Infrarotsensoren oder Kameras eingesetzt, die in der Lage sind, Besucher zu zählen. Diese Daten werden dann an eine Datenbank – neudeutsch Data-Hub – weitergegeben und in Form von mobilen Echtzeit-Anwendungen ausgespielt. Gäste erhalten Informationen zu Besucheraufkommen in Form von Ampelsystemen oder Heat-Maps und dazu in der Regel Vorschläge für alternative Ausflugsziele.

Für die Alternativvorschläge wird zusätzlich das Verhalten des einzelnen Gastes erfasst und die jeweilige Empfehlung auf das Profil mithilfe eines Algorithmus individuell angepasst. Dies ist aktuell eine populäre Vision, die in vielen Tourismusdestinationen entsteht und von technischen Dienstleistern angenommen und angeboten wird. Die Frage, die sich Tourismusverantwortliche hierbei stellen müssen, ist, welche Verantwortung sie bei der Etablierung solcher Lösungen selbst tragen: Ist es überhaupt legitim, dass Daten zur Bewegung und zum Verhalten von Gästen gemessen werden, selbst wenn diese anonymisiert sind? Falls ja, wie und an welchen Punkten müssen Sie gewährleisten können, dass Daten anonymisiert werden, um auch langfristig das Vertrauen bei den Gästen sichern zu können?

Welche Verantwortung kommt technischen Dienstleistern zu?

Viele technische Dienstleister sind auf den aktuellen Bedarf der Messung von Besucherströmen aufgesprungen und entwickeln Lösungen, um die Bewegungen von Menschen im Urlaub messen und damit Aussagen über Besucheraufkommen treffen zu können. Während die aktuelle Technik anonymisiert ist, stellt sich dennoch die Frage, ob diese Entwicklung ein Einfallstor für die Etablierung weiterer Tracking-Daten darstellt. Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass Überwachungsinstrumente nicht mehr nur im Interesse von Regierungen sind, sondern auch der Einzelne zum Zweck der eigenen Sicherheit eine Corona-Warn-App für sinnvoll erachtet und dabei gleichzeitig bereit ist, Daten von sich preiszugeben. Welche Verantwortung kommt hier den technischen Dienstleistern zu? Wie können und sollten Sie diese Entwicklung unterstützen? Werden die Regeln dessen, was erlaubt ist, nur vom Markt und dessen Erfordernissen bestimmt, oder sollten die Unternehmen, die diese Lösungen bereitstellen, einen eigenen Ethikkodex haben, der ihnen als Leitlinie dafür dient, was sie im Auftrag für andere umsetzen und was eben auch nicht?

Welche Verantwortung tragen die Gäste selbst?

Die technischen Lösungen sind so komplex geworden, dass sie für den Techniklaien kaum bis gar nicht mehr nachvollziehbar sind. Der Gast sieht schließlich in Google Maps nur, dass vor ihm ein Stau ist. Woher Google dies weiß, wird selten hinterfragt. Ähnlich wird es beim Thema Besucherlenkung wohl bald sein: Der Gast sieht, dass der Strandabschnitt voll ist, weil ihm eine rote Ampel in der App dies signalisiert. Er sucht also nach einem Abschnitt, der leerer ist. Ob er dabei die Messinstrumente überhaupt wahrnimmt oder hinterfragt, wie das Besucheraufkommen in Echtzeit gemessen wird, ist zumindest fraglich. Gleichzeitig ist die informationelle Selbstbestimmung immer auch ein moralisches Problem. Denn nur, wer sich informiert und informieren kann, der kann sich auch schützen oder Schutz beanspruchen. Somit stellt sich die Frage, welchen Aufwand Gäste betreiben müssen, um herauszufinden, wie ihre Daten aufgenommen und verarbeitet werden.

Haben Gäste nicht selbst die Verpflichtung, sich aktiv darüber zu informieren, wie diejenigen Lösungen, die sie nutzen, ihre Daten erfassen und weiterverwenden? Welche Verantwortung kommt den Gästen hier zu und wie sollen sie sich verhalten, wenn sie das Messen der eigenen Bewegungsdaten – und sei es anonymisiert – grundsätzlich ablehnen? Müssen sie dann auf eine andere Urlaubsdestination ausweichen?

Wie finden wir Wege, um diese Fragen zu beantworten?

Die übergeordnete Frage, die sich Tourismusmanager, Diestleister und Gäste gleichermaßen stellen müssen, ist diese: Sollen wir alles, was möglich ist, auch möglich machen? Ist das, was rechtlich möglich ist auch moralisch legitim? Recht und Moral sind zwei unterschiedliche Gebiete, doch sie zielen in dieselbe Richtung, sowohl bei den Geboten, wie den Verboten. Beispielsweise ist es sowohl im Recht wie in der Moral geboten, einem Hilfsbedürftigen zu helfen. Rechtssätze sind im Gesetzgebungsverfahren zustande gekommen und gelten für alle gleichermaßen. Der moralisch handelnde Mensch muss sich in seinen Lebenssituation selbst ein Urteil bilden. Orientiert sich der moralisch Handelnde am Recht, erfährt er dadurch eine Entlastung. Hier nun geht es um den Schutz der Persönlichkeit, der zu den Menschenrechten gehört. Die Menschenrechte garantieren die Menschenwürde, die nicht verletzt werden darf.

Es ist legal, wenn mit Zustimmungen der Gäste eine Foto- oder Videoaufnahme von ihnen erfolgt und diese gespeichert wird. Doch ist es auch moralisch legitim? Diese Frage müssen Tourismusverantwortliche auf Basis der eigenen Urteilsbildung beantworten, wobei sie sich am Recht orientieren können und dadurch eine moralische Entlastung erfahren. Dieser Herausforderung müssen sie sich stellen, und sie können die Verantwortung dieser Entscheidung nur in Teilen auf technische Dienstleister oder die Gäste übertragen.