Solidarität – die neue Tugend im Marketing?

Oder: Wieviel Kula bleibt dem Tourismus erhalten?
Machst du auch Kula?

Keine Angst! Kula ist weder eine neue Social-Media-Challenge, noch ein weiteres Vertriebsportal. Es ist vielmehr ein jahrhundertealtes Tauschsystem aus Papua-Neuguinea. In diesem jährlichen Ritual beschenken sich Bewohner:innen der Trobriand-Inseln gegenseitig mit Halsketten und Armreifen. Die Kula besteht aus einem doppelten Tauschkreis. Angeordnet nach der kreisförmigen Form der Inseln. Die Halsketten und Armreifen wechseln jeweils in entgegengesetzter Richtung ihre Besitzer:innen. So entsteht ein Tauschring der verzögerten Reziprozität. Kurz gesagt: Wem du heute etwas Gutes tust, wird dir irgendwann auch Gutes tun. Kommt dir bekannt vor? Das Jahr 2020 war das Jahr mit ganz viel Kula im Tourismus. Denn was tut eine Branche, die ausreichend Nachfrage hat, doch ihr Produkt nicht verkaufen kann? Sie torkelt, wird aufgefangen und ist bereit, ganz viel zu geben, damit es sich bald auszahlt. Doch der Reihe nach. Es mag noch zu früh sein, um einen objektiven Blick auf die Geschehnisse der letzten 12 Monate werfen zu können. Aus volkswirtschaftlicher und soziologischer Sicht wird erst die Langzeitbetrachtung das volle Ausmaß der Umwälzung erschließen können.

Doch mit dem nötigen Respekt vor den betriebswirtschaftlichen Herausforderungen der Unternehmen, offenbarte uns das Jahr 2020 zumindest eine (Wieder-) Entdeckung: Die Solidarität.

Corona hat Solidarität zum gemeinsamen Imperativ im Marketing gemacht.

Mit den Schockwellen des Lockdowns wurden Abteilungen und Partner: innen zusammengeführt, die sich sonst oftmals unversöhnlich gegenüberstanden. Die Vertriebsabteilung – sonst auf knallharten Abverkauf getrimmt – kooperiert mit den inspirationsverliebten Content-Redaktionen. Die Hotels – sonst im Klagelied über die Untätigkeit der Destinationen – entwickeln gemeinsam mit den Tourist-Informationen Kampagnen und Aktionen. Der Einzelhandel – sonst in Aufruhr gegenüber den Regularien der Verwaltung – entfaltet mit selbigen ungeahnte Sprunginnovationen für digitale Services. Die Tourismusorganisationen – sonst zerrieben zwischen kleinstaaterischen Duodezfürsten – veredeln die vitalisierende Lebenskraft kollektiven Handelns. Gemeinsam vereint in der Hoffnung, dass die Unerreichbarkeit der Reisenden ein schnelles Ende nimmt. Vielleicht ist es ja genau diese verbindende Vision, die in Zeiten der vollen Betten und des Tourismusbooms gefehlt hat.

Vielleicht wird diese solidarische Dynamik auch eine Blaupause für die Umsetzung der (nicht vergessenen) Mega-Themen: Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Vielleicht. Denn das Pflänzlein der Solidarität ist nur solange lebensfähig, wie es auch leidenschaftlich und langfristig gepflegt wird. Eine Heimkehr in die vielbeschworene Normalität darf im Marketing nicht bedeuten, dass wieder alles so wird wie früher. Der Wunsch nach Kula ist auch schon vor Corona für Reisende und Mitarbeitende real gewesen. Unternehmen, die ihre Solidarität nur als kommunikative Überbrückungshilfe bis zum nächsten sorgenfreien Tourismusboom sehen, übersehen den Wandel der Gesellschaft.

Solidarität benötigt Gegenseitigkeit.

Solidarität heißt auf Augenhöhe zu kommunizieren. Doch diese oft zitierte Floskel wirkt nur, wenn Reisende auch ihr Gegenüber als gleichwertig ansehen. Doch was ist das Gegenüber? Es sind die Menschen, die ihnen die Reise zur Verfügung stellen. Die Natur, die sie betreten. Und die Menschen des Ortes, den sie besuchen. Alle drei benötigen Wahrnehmung und Wertschätzung im Marketing. Dies schließt die fairen Arbeitsbedingungen samt Bezahlungen im Unternehmen genauso mit ein, wie auch die Maßnahmen zum Erhalt des Natur- und Kulturraums.

Solidarität benötigt Bindung.

Marketing schließt keine Freundschaften. Auch wenn uns dies kontinuierlich von glitzernden Power-Point-Folien entgegen blinkt. Doch Marketing kann Bindungen fördern. Eine Bindung, die aus der oben beschriebenen Gegenseitigkeit eine langfristige Beziehung erzeugt. Unternehmen, die bereits vor Corona den Aufbau von Gästebindung und Beziehungsmanagement in den Mittelpunkt ihres Marketings gestellt haben, konnten wesentlich einfacher in den „Corona-Modus“ umschalten. Die Reichweite war bereits organisch und musste nicht panisch erkauft werden. Aus Sicht des Marketings sind CRM-Systeme und die dazugehörige Automation das notwendige Fundament, um Solidarität persönlich und bindend zu machen.

Solidarität benötigt Empathie.

Wer solidarisch sein will, wird auch für andere verantwortlich. Diese Verantwortung benötigt Empathie, um sich im vollem Umfang zu entfalten. Auch hier kann die Corona-Zeit zu einer Blaupause für das verantwortungsbewusste Reisen werden. Verbote, Restriktionen und Sanktionen entfalten nur dann Akzeptanz, wenn deren Nutzen klar kommuniziert wird. Reisende zu nachhaltigen Verhaltensänderungen zu bewegen, setzt voraus, dass auch die Marketing-Abteilung die Lebenswelt der Reisenden versteht und akzeptiert.

So mögen erst Historiker:innen darüber urteilen können, ob die Corona-Jahre 2020/21 tatsächlich das Tourismusmarketing verändert haben. Doch wir haben es jetzt in der Hand, die Solidarität im Marketing zu bewahren und ganz viel Kula auch abseits der Pandemie zu nutzen.

Ganz im Sinne von Bruce Springsteen: „Nobody wins, unless everybody wins.“