Wie steht es wirklich um die Digitalisierung in deutschen Destinationen?

Interview mit Adi Hadzimuratovic und Dr. Alexander Schuler

Daten, Zahlen, Fakten zur Ermittlung des Lagebildes in 2019

Open Data, Content-Management, Chatbots oder Virtual Reality – alles aktuelle Schlagwörter im Kontext Digitalisierung des Deutschlandtourismus.

Aber wie digital sind die Managementorganisationen und ihre Destinationen in der Fläche tatsächlich aufgestellt? Hierzu haben die BTE Tourismus- und Regionalberatung in Kooperation mit dem Deutschen Tourismusverband (DTV) im Spätsommer 2019 mehr als 400 Tourismusorganisationen befragt. Erste Ergebnisse hat Dr. Alexander Schuler, geschäftsführender Gesellschafter bei der BTE Tourismus und Regionalberatung, auf dem Deutschen Tourismustag vorgestellt. Nachfolgend beantwortet er einige Fragen zur Studie.

Herr Schuler, sind Sie überrascht von den Ergebnissen der Befragung?

AS: Die Ergebnisse haben leider ein Lagebild bestätigt, das ich vielfach in meinen Projekten in Deutschland beobachte: Es gibt ein starkes Gefälle von der Landes- zur lokalen Ebene in Bezug auf Aufgabenwahrnehmung, Fortbildungsbedarf und genutzten Instrumenten.

Während sich die Landesmarketingorganisation um z.B. Datenbankmanagement und Open Data kümmert, stehen bei den regionalen und lokalen DMOs nach wie vor klassische Themen wie Suchmaschinenoptimierung, Social Media oder Websiteaufbau im Vordergrund. Die Basis hat in der Regel noch viele grundlegende Hausaufgaben zu erfüllen, bevor sie sich mit neuen Technologien beschäftigen kann. Vielfach fehlt auch einfach die grundlegende Infrastruktur – hier speziell der Breitbandausbau – auf die dann Anwendungen und Prozesse aufsetzen können.

Die Leistungsträger sind zentrale Kooperationspartner der DMOs, ohne die das System nicht funktioniert. Über die Hälfte der lokalen und regionalen DMOs schätzen, dass weniger als 50 Prozent ihrer Übernachtungsbetriebe online buchbar sind? Woran liegt es?

AS: Die Zahl ist erschreckend. Sie bestätigt unser Bauchgefühl, ist aber  vielen DMOs auch bekannt. Trotzdem haben nur wenige lokale DMOs Zeit, sich darum zu kümmern. Sie können sich nicht zweiteilen, um den Counter an der Touristinformation zu besetzen und gleichzeitig bei einzelnen Betrieben anzuklopfen. Das ist nicht zu leisten, wenn die Aufgaben stärker wachsen als Personal und Budget. Eine 100-prozentige Onlinebuchbarkeit werden wir nie erreichen, aber hier besteht dringender Handlungsbedarf. Es gilt sich zusammenzutun, und in Netzwerken oder im Verbund mit den regionalen DMOs den Anbietern Ängste und Vorbehalte zu nehmen und sie zu qualifizieren. Dafür müssen die DMOs in die vielen kleinen Betriebe gehen und sie vor Ort qualifizieren.

Was sind die zentralen Hindernisse? Warum geht es nicht schneller voran mit der Digitalisierung?

AS: Im Deutschlandtourismus stehen erst bei 2% WLAN in der gesamten Destination frei zur Verfügung. Deshalb wundert es nicht, dass fehlendes Breitband auch zu den größten Hindernissen bei der Implementierung der Digitalisierung zählt (Platz 4). Neben fehlendem Breitband sind unzureichende finanzielle Mittel (unangefochten auf Platz 1), fehlendes Know-How (Platz 2) und die Qualität des Contents (Platz 3) die größten Hindernisse bei der Digitalisierung auf allen Ebenen. Häufig werden auch fehlende Personalressourcen als Hauptnennung unter „Sonstiges“ genannt. Die Ergebnisse machen mithin deutlich, dass qualifizierte Fachkräfte ein Schlüsselelement sind, um die Mammutaufgabe Digitalisierung professionell zu bewältigen.

Wo besteht damit konkreter Fortbildungsbedarf?

AS: Spannend ist, dass der Umgang mit Sprachassistenten oder Chatbots insgesamt auf allen Ebenen noch keine oder kaum eine Rolle spielt. Das korrespondiert auch mit dem Fortbildungsbedarf. Trotz des umfangreichen Angebotes von Schulungen und Webinaren zu vermeintlichen Trend-Themen wie Chatbots, KI oder Augmented Reality, wird der größte Bedarf bei klassischen bzw. „handfesten“ Digitalisierungsthemen gesehen. Die TOP 5 mit unterschiedlicher Priorität auf regionaler und lokaler Ebene sind: Social Media, Content-Strategien, Suchmaschinenoptimierung, Datenbank-Management wie auch Analyse der Besucherströme.

Auf welche Schritte kommt es jetzt an? Wo würden Sie ansetzen, um die Digitalisierung voranzubringen?

AS: Wir haben gut ausgestattete Landesmarketingorganisationen, welche die Digitalisierung in den Destinationen vorantreiben und strukturieren, sei es mit landesweiten Content-Architekturen oder Tourismusnetzwerken. Das ist wichtig und auf der übergeordneten Ebene richtig angesiedelt. Der größte Druck liegt aber auf der regionalen und lokalen Ebene – denn sie liefert die Daten. Hier brauchen wir zunächst ein verändertes Aufgabenverständnis. Das heißt: weniger Marketing, mehr Management und mehr Arbeit nach innen. Denn je besser die Akteure vor Ort qualifiziert sind und sich um die Pflege eines guten Contents kümmern, umso besser ist die Außenwahrnehmung, da die Sichtbarkeit dann auch ohne Messestand und Printprodukte steigt. Diese Aufgabenverlagerung muss natürlich mit entsprechenden Ressourcen unterlegt sein. Dabei gilt es, Budgets zu verschieben oder sich zu größeren Einheiten zusammenschließen, um im Verbund effizienter zu sein.