Was Digitalisierung wirklich bedeutet

Ich bin nun genau 30 Jahre in der Touristik und seit über 10 Jahren der Vorstand des Verbandes Internet Reisevertrieb (VIR). Ursprünglich wollte ich mal Steuerberater werden und bin froh, dass ich in der Touristik gelandet bin.

Wenn mich jemand heute fragt, in welcher Branche ich tätig bin, so antworte ich: „wir verkaufen Glück“, denn wer nicht mit unserem Produkt glücklich wird, wird’s vermutlich mit keinem. Das beinhaltet allerdings auch eine große Verantwortung, denn zum perfekten Urlaubsglück gehört vieles, das ineinandergreifen muss.

Die neuen technischen Möglichkeiten könnten einen wichtigen Anteil daran haben, aber seit Jahren sehe ich, wie nur wenige Unternehmen sich wirklich ernsthaft damit beschäftigen. Digitalisierung ist in aller Munde, aber wenn man hinterfragt, was genau gemeint ist, kommt oft nicht viel wirklich Sinnvolles heraus. Zu digitalisieren, weil’s gerade „in“ ist, macht eigentlich wenig Sinn.

Wenn man Wikipedia zum Begriff “Digitalisierung“ fragt, dann bekommt man folgende Antwort:
Analoge Werte in ein maschinenlesbares Format zu wandeln.

Ehrlich gesagt machen wir das seit dem ersten Computer. Als Touristik waren wir übrigens äußert erfolgreich mit der Digitalisierung unseres Contents und große Reservierungssystem benötigten eben früh maschinenlesebaren Content. Also eigentlich sprechen wir da nicht wirklich von etwas Neuem! Für mich persönlich ist die Verteilung und der Zugang zu diesen Daten eigentlich die wahre Revolution. Erst durch das Internet konnte sich das volle Potential von digitalen Formaten überhaupt entwickeln. Natürlich spielt auch das Smartphone eine große Rolle, das uns den Zugang immer und überall zugänglich macht.

Aber „digital“ zu sein ist mehr als nur Software oder Content, es ist eigentlich eine Haltung!

Ich hatte dieses Jahr viele interessante Gespräche und darunter mit einem erfolgreichen Autozulieferer, und da wurde mir der Unterschied erst wirklich klar. Selbstverständlich sind wir auf Tesla im Gespräch gekommen und eine Aussage fand ich spannend, denn im Gespräch sagte er: „Die bauen Unfälle mit den selbstfahrenden Autos“. Ich musste erst mal darüber nachdenken, aber ich erwiderte ihm, Elon Musk hat einen Zahlungsprovider mal erfolgreich etabliert.

Genauso baut er nun eine Hardware und selbstverständlich, wenn eine Software selbständiges Fahren ermöglicht, setzt er sie ein. Und natürlich weiß er, dass es zu Problemen kommen kann (denn realistisch betrachtet ist eine Software immer in Beta). Im Falle es passiert etwas, schaut man sich Statistiken an und nimmt Unfälle mit ganz normalen Fahrzeugen als Ausgangswert, und erst wenn seine eigene Statistik schlechter ist, ändert er die Software. Was allerdings die etablierten Anbieter machen ist, alle Probleme, die möglicherweise im Leben eines Autos auftreten können – und mögen sie noch so selten sein – von Beginn an auszuschließen. Das ist löblich – aber ist das wirklich schnell und effizient?

Wir leben in einer extrem beschleunigten Zeit und während man früher Zyklen über viele Jahre hatte, können heute technische Neuentwicklungen komplette Geschäftsmodelle von einem Tag auf den anderen komplett verändern.

Diese Dynamik passt leider nicht zu uns Deutschen, wir sind die Perfektionisten in der Welt, aber die Welt hat sich eben verändert. In einer Zeit von großen Entwicklungsgeschwindigkeiten wird man nicht mehr alles bis zur Perfektion durchdenken können, und wer zu lange überlegt, ist überhaupt nicht dabei. Und wenn wir ehrlich sind, egal über was wir im Vorfeld nachgedacht haben, es passiert doch immer trotzdem etwas Unerwartetes.

Das heißt nicht, dass digitale Unternehmen unverantwortlich mit Kunden umgehen, aber sie gehen eben früher live und oft mit Beta. Sie sind anders in ihrer Risikobetrachtung und in ihrem Mut! Eigentlich begehen sie immer Neuland und bei neuen Technologien mit welchem Erfahrungsschatz will man denn dort ansetzen? Man korrigiert dann, wenn ein Problem auftritt, aber nicht umgekehrt.

Das mit dem Mut ist so eine Sache, denn sie passt nicht zu den meisten Unternehmenskulturen. Fehlertoleranz wäre gefragt, aber Controlling will 5-Jahrespläne, obwohl alle wissen, dass dies unmöglich ist (für’s Gewissen ist es aber gut, oder?). Ausprobieren, ohne 100% Erfolgsgarantie passt einfach in die meisten Unternehmen nicht. Neue Projekte oder Möglichkeiten sollen genau kalkuliert sein, obwohl es doch keine Erfahrung damit gibt. Ausprobieren und bewerten und „fail fast“ und dann „next“ wäre eigentlich die Antwort – aber das passt so wenig in das Gelernte und schon gar nicht in alteingesessen Unternehmenskulturen.

Es reicht also nicht, von der Digitalisierung zu sprechen, sondern man braucht einen wirklichen Kulturchange, der aus Neugier und Mut besteht, um das Thema ernsthaft anzugehen, und wenn wir an unsere Kindheit denken, hatten wir mal ganz viel davon. Aber irgendwo auf dem Weg zum Erwachsen werden ist uns das abhanden gekommen.